Individualisiertes Lernen, aber wie?

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Der Wunsch und zugleich die Notwendigkeit individueller Förderung sind in der heutigen Zeit aus keinem Klassenzimmer wegzudenken. Warum? Heterogene Klassen und der Anspruch, Schüler:innen individuell zu fördern und zu fordern, sind für viele Lehrkräfte heutzutage Alltag. Individualisiertes Lernen knüpft an diesen Gedanken an.

16 Uhr – ein gewöhnlicher Nachmittag, an dem du über deine nächsten Unterrichtssequenzen nachdenkst: Du fragst dich, wie du das Thema „Kurzgeschichten“ möglichst differenziert, individuell und ansprechend aufbereiten kannst. Ausschließlich geschlossene Unterrichtsformate sind dabei keine Option, da deine Klasse aus verschiedenen Lerntypen besteht und zudem einen unterschiedlich schnellen Zugang zu Inhalten hat. Und genau da kommt individualisiertes Lernen ins Spiel:

Individualisiertes Lernen, was heißt das überhaupt?

Individualisiertes Lernen gehört zu den offenen Unterrichtsformaten und folgt dem Gedanken, dass Wissen nicht 1:1 von dir auf die Lernenden übertragen werden kann, sondern individuell unter Berücksichtigung des vorhandenen Vorwissens, der Erfahrungen und Kompetenzen aufgebaut wird. Es knüpft an das Prinzip der direkten Instruktion und „Visible Learning“ nach John Hattie an.

Achtung: Verwechslungsgefahr!

Individualisiertes Lernen ist nicht mit Einzelarbeit gleichzusetzen. Individualisiertes Lernen gewährleistet – im Gegensatz zur Einzelarbeit – einen individuellen Zugang zu Lerninhalten, der den verschiedenen Bedürfnissen der Schüler:innen gerecht wird, ohne dass diese dabei zwingend allein arbeiten müssen. Denken wir nun an unser Eingangsbeispiel, so ist bei dem Thema „Kurzgeschichten“ sowohl eine Gruppenarbeit in Form einer szenischen Umsetzung, aber auch eine Einzelarbeit durch das Umschreiben einer Kurzgeschichte möglich.

Wie du siehst, ist die Aufgabenstellung beim individualisierten Lernen „freier“ formuliert, sodass deine Klasse verschiedene Wege gehen kann, um zum Ziel zu gelangen. So kreierst du einen Lernprozess, der jede:n Schüler:in dort abholt, wo sich er:sie hinsichtlich des eigenen Lernstandes gerade befindet. Zudem berücksichtigst du dabei die Heterogenität deiner Klasse und lässt Lernfortschritte durch (Zwischen-)produkte sichtbar werden.

Individuelle Voraussetzungen für den Erfolg des Lernens

Grundsätzlich basiert der Erfolg individualisierten Lernens psychologisch gesehen auf der Nutzung, Aktivierung und Förderung von vorhandenen Kompetenzen und Ressourcen, wobei du als Lehrkraft den Lernenden während dieses Prozesses begleitend zur Seite stehst.

Nach Marcus Hasselhorn und Andreas Gold (2017) lassen sich die individuellen Voraussetzungen des Lernens folgenden Bereichen zuordnen:

….auf kognitiver Ebene:

  1. individuelle Aufmerksamkeits- und Gedächtnisfunktionen
    Jeder Lernende verfügt über eine unterschiedliche Gedächtnisspanne. Auch hinsichtlich der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung bestehen Differenzen, die beim Konzipieren von Lerninhalten bedacht werden müssen.
  2. Vorwissen
    Das Vorwissen, welches deine Schüler:innen mitbringen, unterscheidet sich nicht nur in der Varietät der Bereiche und der Qualität bzw. inhaltlichen Tiefe, sondern auch in der Kompatibilität mit den neuen Lerninhalten. Jede:r muss demnach gemäß dem individuellen Lernstand abgeholt werden.
  3. Strategien und metakognitive Regulation
    Nicht jede (Lern-)Strategie passt zu jedem Thema und noch weniger zu jeder Person aus deiner Klasse. Einige deiner Schüler:innen haben womöglich einen Blick dafür, mit welcher Strategie sie effizient ans Ziel gelangen, andere benötigen dahingehend noch Unterstützung.

…auf motivational-volitionaler Ebene:

  1. Selbstkonzept und individuelle intrinsische Motivation
    In welchem Grad deine Schüler:innen Motivation für das Lernen und die Leistung aufbringen können, ist situativ und je nach Inhalt unterschiedlich.
  2. Volition und lernbegleitende Emotionen
    Lernen wird durch die während dieses Prozesses hervorgerufenen Emotionen begünstigt oder gehemmt. Welche Emotionen ausgelöst werden, ist individuell.

(Traub, 20222).

Als Lehrer:in ist es wichtig, diese Bereiche zu bedenken und an diese Wirklichkeiten anzuknüpfen, um die Schüler:innen durch individualisierten Unterricht angemessen fördern und fordern zu können.

Mehrwert individualisierten Lernens

Individualisiertes Lernen setzt also den Fokus auf den Einzelnen und bedenkt daher unter anderem das individuelle Lerntempo, die Lerntypen und ermöglicht es dir zudem, deinen Unterricht möglichst differenziert zu gestalten sowie zugleich die Partizipation und Selbstwirksamkeit der Lernenden zu stärken. So kann individualisiertes Lernen als ein Schritt in Richtung Bildungsgerechtigkeit, Chancengleichheit und gleichen Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe gesehen werden. Weitere Plus-Punkte für dich und deine Schüler:innen findest du hier:

…für deine Schüler:innen:

  • Fördern von Kompetenzen wie Organisationsfähigkeit wie bspw. Zeitmanagement, Selbstständigkeit und Sozialkompetenzen wie Teamfähigkeit und Würdigung der Arbeit anderer
  • Finden und Entwickeln des eigenen Lerntypen
  • Erfahren eigener Stärken und Akzeptanz (noch) vorhandener Schwächen
  • Lernen mit Handlungs- und Produktorientierung
  • Kennenlernen verschiedener Zugänge zum Lernen (nachhaltiges Lernen)
    (v.a. für individuelle Lernprozesse wie bei Prüfungsvorbereitungen)
    • Möglichkeit, voneinander neue Fähigkeiten zu erlernen

…für dich und deine Kolleg:innen:

  • (indirekter) Bezug der Schüler:innen in die Unterrichtsplanung
  • erleichterte individuelle Intervention bei Schüler:innnen hinsichtlich der Förderung und Forderung trotz großer und heterogener Klassen
    • ein Thema mithilfe verschiedener Niveau-Stufen gemeinsam erarbeiten, ohne zwingend differenzierte Arbeitsblätter zu erstellen oder extern zu selektieren
  • planvoller pädagogischer Umgang mit unterschiedlichen Lernständen, -typen, Interessen, Präferenzen, Vorwissen sowie Fähigkeiten möglich
    • kompetenzfördernd planen und unterrichten
  • Kennenlernen neuer Methoden und Herangehensweisen (bspw. durch Ideen der Schüler:innen, auf die du selbst nicht direkt gekommen wärst)

Individualisiertes Lernen – Chancen und Probleme

Es ist nun mal nicht alles Gold, was glänzt – deshalb zeigen wir dir hier neben den Chancen, die individualisiertes Lernen bietet, auch die Grenzen bzw. Probleme dessen:

Worauf kommt es an, wenn ich meine Schüler:innen individuell fördern möchte?

Nachdem du jetzt schon einen Überblick über das individualisierte Lernen erhalten hast, steht noch die Frage im Raum, worauf es eigentlich ankommt, wenn du deine Schüler:innen individuell fördern möchtest:

Grundsätzlich bist du in erster Linie dafür verantwortlich, eine Lernumgebung zu schaffen, die Freiräume für Individualität lässt. Dabei kommt es vor allem darauf an, transparent zu arbeiten, indem du z.B. die Ziele der Aufgabenstellung klar kommunizierst. Hier sind Methoden wie die Agenda, Checklisten oder Lernlandkarten wie Advance Organizer hilfreich. Um die Lernenden in diesen Prozess mit einzubeziehen, kannst du die Erwartungen an die Aufgabe(n) gemeinsam mit ihnen erarbeiten und/oder mögliche Umsetzungen sowie Themenschwerpunkte mithilfe von Mindmapping gemeinsam brainstormen. Damit beziehst du deine Schüler:innen zugleich von Beginn an in den Lernprozess ein und förderst sie zugleich in ihrer Mitbestimmung sowie Selbststeuerung.

Individualisiertes Lernen – Konkrete Beispiele/Möglichkeiten der Umsetzung

Hier findest du einige Ideen für die Umsetzung individualisierten Lernens für deinen Unterricht. Für das Beispiel der Projektarbeiten findest du bereits einige Überlegungen für die Unterrichtssequenzen zu „Kurzgeschichten“, die sich in ihrer Herangehensweise unterscheiden und jeweils verschiedene Kompetenzen fördern.

Projektarbeiten – am Beispiel der Unterrichtsreihe zu „Kurzgeschichten“

  • Podcast aufnehmen (GA, PA oder EA)
    • inhaltlich z.B.: Merkmale einer spezifischen Kurzgeschichte herausarbeiten, Kurzgeschichten vergleichen,…
  • Kurzgeschichte als Hörspiel vertonen
    • SuS lernen u.a., Emotionen sprachlich zu artikulieren
  • szenische Umsetzung (GA, PA)
  • Standbilder kreieren (GA, PA)
  • Stop-motion-Film (GA, PA, EA)
  • eigene Kurzgeschichte schreiben (GA, PA, EA)
  • Kurzgeschichte umschreiben (GA, PA, EA)
  • Kurzgeschichten miteinander vergleichen
  • Comic erstellen (GA, PA, EA)
  • ein Erklärvideo drehen (GA, PA, EA)

Häufig erfolgt schon bei der Auswahl des Projektes sowie bei der Wahl der Sozialform eine Selbstdifferenzierung der Schüler:innen, da diese dabei (unterbewusst) eigene Präferenzen, Interessen und Stärken bedenken.

Stationsarbeiten

  • (digitale) Lerntheken
  • Lernzirkel

weitere Ideen

  • Wochenpläne
  • „Lernjobs“
  • Präsentationen/Poster/Lernblätter erstellen

Womöglich hast du zusätzlich zu diesen Ideen noch weitere Ansätze – dann teile uns diese gern unter diesem Beitrag mit oder erzähl uns davon bei Instagram oder Facebook! Gern kannst du auch direkt Kontakt zu uns aufnehmen.

Quellen:
Hasselhorn & Gold (20174). Pädagogische Psychologie. Erfolgreiches Lernen und Lehren. Stuttgart: Kohlhammer.
Traub, Silke (20222): Projektarbeit erfolgreich gestalten. Über individualisiertes, kooperatives Lernen zum selbstgesteuerten Kleingruppenprojekt (utb-studi-e-book ; 3657). Bad Heilbrunn: UTB; Online verfügbar unter https://elibrary.utb.de/doi/book/10.36198/9783838557861, zuletzt geprüft am 21.02.2023.
Altmann, Tobias / Faulstich-Christ, Katja / Heinzeroth, Helena (2010): Moderner Unterricht in den Sekundarstufen I und II. Theorie und Praxis kompetenzfördernden, individualisierten und selbstständigen Lernens (Theorie und Praxis der Schulpädagogik, Bd. 3). Immenhausen bei Kassel: Prolog-Verlag.
Achim Albrecht / Doris Ayaita / Werner Bauch u.a. (2012): Individuelle Förderung – individualisiertes Lernen. Orientierungsgrundlagen zum Umgang mit Heterogenität in Unterrichts- und Schulentwicklung. Hg. v. Hessisches Kultusministerium. Wiesbaden; Online verfügbar unter https://kultusministerium.hessen.de/sites/kultusministerium.hessen.de/files/2021-08/individuelle_foerderung_lernen.pdf, zuletzt geprüft am 21.02.2023.

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