Lerntypen (er)kennen

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Womöglich haben einige deiner Schüler:innen in Situationen, in denen sie einen Text leise für sich lesen sollten, schon einmal den Wunsch geäußert, diesen laut im Plenum zu lesen oder von dir vorgelesen zu bekommen. Das hat nicht nur zwingend damit zu tun, dass ein Teil deiner Klasse gern und der andere ungern liest, sondern kann auch mit den unterschiedlichen Zugängen zur Abspeicherung von Wissen zusammenhängen.

Doch warum können sich manche Menschen Inhalte besser und schneller merken, wenn sie diese hören und andere hingegen, sobald sie diese sehen?
Das liegt unter anderem an unseren individuellen Lerntypen!
In diesem Artikel erfährst du, welche verschiedenen Lerntypen es gibt und welchen Mehrwert es für dich und deine Schüler:innen hat, diese zu (er)kennen:

Lerntypen – Was hat es damit auf sich?

Lerntypen bezeichnen grundlegend die verschiedene Präferenz zu den Zugängen, die Lernende beim Erfassen und Verstehen von Inhalten aufweisen. Konkret heißt das: Jede:r deiner Schüler:innen empfindet eine Herangehensweise zu einem Unterrichtsthema angenehmer bzw. verständlicher.
Das Erkennen des eigenen Grundlerntypes bietet dir und deiner Klasse die Basis für gezieltes, schnelles und effektives Lernen.

Basierend auf diesem Gedanken haben unterschiedliche Wissenschaftler eine Vielzahl von Modellen und Theorien begründet. Diese beruhen auf unterschiedlichen pädagogischen und/oder psychologischen Erkenntnissen und bieten zum Teil auch direkte wie indirekte Tipps für die unterrichtliche Praxis.

Wir stützen uns im Folgenden ausschließlich auf die Lerntypen-Theorie von Frederic Vester (1925-2003), wobei zu berücksichtigen ist, dass diese – wie andere Modelle jedoch auch – intensiv diskutiert wird und einige Punkte seiner Theorie durch jüngste Erkenntnisse der Hirnforschung bereits widerlegt wurden. Dennoch findet sie in der (Schul-)Praxis Anwendung, da sie insgesamt plausibel und greifbar ist. Bedacht werden muss jedoch immer, dass der Ansatz, dass es DEN EINEN Lerntypen für jede:n gibt, veraltet ist.

Lerntypen-Theorie nach Frederic Vester

F. Vester hat seine Theorie erstmals in dem Buch „Denken – Lernen – Vergessen“ (1975) veröffentlicht, wobei zu beachten ist, dass seine Theorie auf keiner empirischen Untersuchung beruht, sondern auf seinen Erfahrungen und Erkenntnissen, die er als Hochschullehrer gewonnen hat.

Nach Vester unterscheidet sich das Lernverhalten der Lernenden maßgeblich darin, wie intensiv diese beim Lernen auf ihre einzelnen Wahrnehmungskanäle (Sehen, Hören, Fühlen) zurückgreifen.
Daher unterteilte er die Lerntypen in folgende Kategorien:

Der VISUELLE Lerntyp

Für ihn ist Optik das A und O!
Visuelle Lerntypen nutzen vorrangig ihre Augen, um Inhalte aufzunehmen. Lernen fällt ihnen besonders dann leicht, wenn sie etwas auf Schaubildern sehen, Texte lesen und/oder sich dabei eigene Notizen machen können.
Häufig verwenden visuelle Lerntypen Visualisierungen oder Methoden wie Cluster, Mindmaps, Concept-Maps oder Lernblätter, um ihr Wissen zu strukturieren.
Für sie ist es wichtig, Informationen kompakt auf einen Blick griffbereit zu haben.

Der AUDITIVE Lerntyp

Hier heißt es: „Lauscher auf!“
Der auditive Lerntyp merkt sich Inhalte am besten, wenn er diese mit seinem Gehör wahrnimmt. Demnach sind Podcasts, Lesungen oder lautes Vorlesen für ihn am geeignetsten.
(Selbst-)Gespräche über Inhalte sowie Sprachmemos, die sich der auditive Lerntyp immer wieder anhören kann, eignen sich daher perfekt, um sich das Wissen einzuprägen.

Der MOTORISCHE Lerntyp

Motorische bzw. haptische Lerntypen sind „Macher„.
Sie müssen Inhalte selbst umgesetzt oder angewandt haben, um von dem theoretisch angeeigneten Wissen nachhaltig zu profitieren.
Nicht selten sind motorische Lerntypen daher beim Lernen gern in Bewegung.
Übungen oder praktische Projektarbeiten bringen dem „Macher“ beim Lernen voran.

Der KOGNITIV-INTELLEKTUELLE Lerntyp

Das lange und intensive Nachdenken ist DIE Lieblingsbeschäftigung des kognitiv-intellektuellen Lerntypes.
Er stillt seinen Wissensdurst, indem er intensiv recherchiert, Wissen reflektiert oder mit anderen darüber diskutiert.
Abstrakte Formeln oder scheinbar komplexe Inhalte sind für den „Denker“ somit selten ein Problem.
Rechercheaufgaben, Diskussionen (z.B. mithilfe der Fishbowl-Methode) oder Interviews helfen ihm, Wissen zu festigen und zu vertiefen.

Ursprünglich blieb dieser Lerntyp vordergründig auf den Intellekt beschränkt, wird immer häufiger in der Literatur und Lerntypentests als „kommunikativer“ Lerntyp bezeichnet, da kognitiv-intellektuelle Lerntypen auch von Kommunikation nachhaltig profitieren.

Bedenke immer:

Theorien abstrahieren und generalisieren in gewissen Teilen immer!
Womöglich trifft keiner dieser Lerntypen auf einzelne deiner Schüler:innen zu. Das ist nicht weiter schlimm, denn auch Vester ist sich dessen bewusst, dass eine Festlegung auf DEN EINEN Lerntypen bei jedem einzelnen Lernenden eher selten möglich ist.
Laut Vester ist es deshalb wichtig, neben dem einen Grundlerntypen zusätzlich auch das Lernen über andere Sinneskanäle zu fördern und sich nicht ausschließlich auf einen Lerntypen zu stützen.

Wie finde ich meine(n) Lerntyp(en)?

Vermutlich fragst du dich nun: „Zu welchem Lerntyp würde ich mich zählen?“ und darauffolgend auch „Wie können meine Schüler:innen ihre(n) Lerntyp(en) identifizieren und inwiefern kann ich sie dabei unterstützen?“
Grundsätzlich gilt hier die Divise „learning by doing“. Probiere mit deinen Schüler:innen innerhalb deines Unterrichts verschiedene Zugänge aus und rege sie zur Reflexion an, indem du ihnen Impulse zur Verfügung stellst. Diese könnten lauten:

  • Wenn ich einen Text lese, merke ich mir den Inhalt am besten, wenn…
    • …ich den Text leise für mich lese und mir beizu/im Anschluss Notizen mache.
    • …ich den Text laut lese oder vorgelesen bekomme.
    • …ich selbst in Aktion trete, indem ich an diesen Inhalten projektbasiert arbeite oder das Gelesene/Gehörte in die Tat umsetze.
    • …ich eigenständig zu einzelnen Inhalten recherchiere und/oder mit anderen darüber rede.
  • Das Lernen für eine Klausur wird mir durch … erleichtert.
    • …das Erstellen und Lernen mit Lernzetteln/Schaubildern/Zusammenfassungen
    • …das Wiederholen von Inhalten mithilfe eines Podcasts/Erklärvideos oder wenn ich mir ein Audio mit den wichtigsten Infos aufnehme und anhöre
    • …Bewegung beim Lernen
    • …die Kommunikation mit anderen, also wenn ich jemandem das, was ich wissen muss, erkläre,

Weiterführendes Material

Hier findest du zudem einige Links zu Online-Tests, die du gemeinsam mit deinen Schüler:innen durchführen kannst.
Behalte allerdings stets im Hinterkopf, dass diese Typen nicht auf jede:n uneingeschränkt zutreffen werden und häufig eher Tendenzen als 100%ige Übereinstimmungen die Regel sein werden.
(Hinweis: einige dieser Tests gehen über Vesters Theorie hinaus bzw. erweitern diese)
Material für Projekttage oder Projektarbeiten zur Lerntypfindung an deiner Schule und/oder für deine Unterrichtsstunde

Kostenloses Material:

Material, für das du bezahlen musst:

Lerntypen im Unterricht berücksichtigen?!

Sicherlich fragst du dich jetzt, wie du deine Aufgabenstellungen konzipieren kannst, damit möglichst jede:r Schüler:in gemäß des eigenen Lerntypen arbeiten kann. Häufig kommt es beim Unterrichten auf die Mischung an, sodass die Inhalte für jede:n Lernende:n so ansprechend und greifbar wie möglich werden. Dass das nicht bei jedem Thema, in jedem Fach und bei jeder Lerngruppe in der gleichen Intensität möglich ist, ist unumstritten.
Wir bieten dir hier deshalb einige Impulse, die du fächer- und klassenübergreifend nutzen kannst:

Einführung in ein neues Thema

  • visueller Lerntyp:
    Für visuelle Lerntypen kannst du einen Text bereitstellen, der den Schüler:innen einen Überblick über die neue Thematik verschafft, darlegt, was sie erwartet und ihnen zeigt, was sie am Ende der Unterrichtsreihe können werden.
    Solche Texte findest du häufig in den an eurer Schule genutzten Lehrwerken oder auf Plattformen, die Unterrichtsmaterialien bereitstellen.
  • auditiver Lerntyp:
    Hier ist es sinnvoll, Podcasts, Videos oder Interviews, die sich deine Schüler:innen anhören können, einzusetzen.
    Zudem kannst du sie dazu anregen, den Text (allein oder in Kleingruppen) laut zu lesen oder diesen im Internet als Audiodatei konvertieren zu lassen.
  • motorischer/haptischer Lerntyp:
    Womöglich bietet das Thema die Möglichkeit einer praktischen Umsetzung (z.B. Malen eines Bildes, Akrostichon, szenische Umsetzung), mithilfe derer sich deine Schüler:innen mit dem neuen Thema vertraut machen können.
  • kognitiv-intellektueller Lerntyp:
    Für diese kannst du Schlüsselbegriffe zur Verfügung stellen, welche die Basis für eine eigenständige Recherche und die Erkundung eines neuen Themebereiches bieten.

In eine Unterrichtsreihe (z.B. eine Lektüre in Deutsch), die alle Lerntypen berücksichtigt, kannst du folgende Arbeitsphasen integrieren:

  • Lesen der Lektüre
    • in Stillarbeit
    • in Kleingruppen
    • im Plenum
  • Hören des Hörbuches der Lektüre
  • Diskussion über die Lektüre
    • von deinen Schüler:innnen ausarbeiten lassen
    • lesen
    • anhören
    • wenn möglich: ein Video dazu ansehen
  • eine Szene szenisch oder als Standbild umsetzen lassen
  • eine Szene als Comic gestalten
  • Präsentationen/Vorträge zu Themen, welche die Lektüre anspricht, erstellen lassen

Wie du siehst, bieten sowohl das Internet als auch deine bereits erstellten sowie häufig genutzten Aufgaben dir die Möglichkeit, deinen Schüler:innen ohne erheblichen Mehraufwand einen individuellen Zugang zu Inhalten zu ermöglichen.
Denke aber immer daran, dass deine Schüler:innen ebenfalls davon profitieren können, andere Lerntypen besser kennenzulernen, um nicht auf einen Lerntyp zentriert zu bleiben.
Die Mischung macht’s also!

Welche Erfahrungen hast du mit Lerntypen gemacht? Berücksichtigst du diese bereits bei deiner Unterrichtsplanung?
Teile deine Erfahrungen gern mit uns auf Instagram, Facebook oder schreib uns über unser Kontaktformular.

Quellen:
Hamann, K. (2012). Lerntypen, Lernstile, Lerntheorien: Eine didaktische Herausforderung für elektronisches Lernen [Neuausg.]. AV Akademikerverl.
Vester, F. (2021). Denken, Lernen, Vergessen: Was geht in unserem Kopf vor, wie lernt das Gehirn, und wann läßt es uns im Stich? (40. Aufl., aktual. Neuausg.). dtv dtv-Wissen: Bd. 33045. dtv.
Looß, M. (2001). Lerntypen?: Ein pädagogisches Konstrukt auf dem Prüfstand. https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201809101449-0.
Fleuchaus, A. (2015). Der Umgang mit unterschiedlichen Lerntypen an einer Wirtschaftsschule: Empfehlungen für den Mathematikunterricht. Deutschland: BACHELOR + MASTER PUBLISHING, S. 5 – 12.

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