Wenn Du gemeinsam mit Kolleg:innen Deinen Unterricht weiterentwickeln möchtest, kannst Du Dich mit ihnen zu kollegialen Hospitationsgruppen zusammenschließen. Wenn Du Dich fragst, was genau das ist und was die Vorteile sind, dann solltest Du zunächst unseren vorherigen Artikel zu kollegialen Hospitationen lesen. In diesem Artikel zeigen wir Dir den Ablauf kollegialer Hospitationen.
Phase 1: Freiwilligkeit und Einladung – Vorgespräch und Vorbereitung
Am Beginn im Ablauf kollegialer Hospitationen steht nicht etwa der zu beobachtende Unterricht selbst, sondern ein Vorgespräch. Hierbei tauscht sich die Hospitationsgruppe über die eigenen Erwartungen an die Hospitation aus. Alle beteiligten Personen begeben sich (in der Regel) freiwillig in den Hospitationsprozess. Ihr Anliegen ist es, den eigenen Unterricht besser reflektieren zu können oder dabei ihren Kolleg:innen zu helfen. Die gastgebende Lehrkraft spricht daher eine Einladung an die Kolleg:innen aus, den eigenen Unterricht zu besuchen und zu beobachten.
Teil dieser Einladung ist der Beobachtungsfokus. Dabei entscheidet die gastgebende Lehrkraft, worauf die hospitierenden Kolleg:innen während des Unterrichtes genau achten können. Einen solchen Beobachtungsfokus könnt Ihr auf unterschiedliche Weise finden. Vielleicht gibt es ein aktuelles Feld, für die die Lehrkraft gerne eine strukturierte Rückmeldung hätte. Innerhalb der Hospitationsgruppe kann man sich aber auch an ein Schulprogramm halten oder an bekannte Merkmalskataloge zu „gutem Unterricht“.
Beispiele für Beobachtungsfokusse – Stimme und Stimmführung (Bin ich in meinem Unterricht immer gut zu verstehen, formuliere ich Arbeitsaufträge klar und deutlich?) – Verhalten bestimmter Schüler:innen – Führen des Unterrichtsgespräches (Redeanteile, Gesprächsstimuli, …) – Nonverbale Kommunikation (Körperhaltung, Zuwendung zu Klasse, Gesten, Mimik) – Aufmerksamkeitskurve – Klarheit von Tafelanschrieben – Medieneinsatz – Umgang mit Störungen |
Im Vorgespräch legt ihr auch fest, was ihr unter dem Beobachtungsfokus versteht und welche Erwartungen die gastgebende Lehrkraft hat. Was genau möchte sie über den eigenen Unterricht erfahren? Im Zuge dessen wird auch besprochen, in welcher Form die Beobachtungen am besten festgehalten werden können (s.u.). Damit die hospitierenden Lehrer:innen sich besser orientieren können, sollten sie einen Sitzplan erhalten und in groben Zügen den Ablauf der Unterrichtsstunde kennen. Dies ist insbesondere dann von Vorteil, wenn die Hospitationsgruppe aus Kolleg:innen besteht, die nicht die gleichen Fächer unterrichten. Es erleichtert außerdem das Erstellen des Beobachtungsprotokolls enorm.
Phase 2: Bewertungsfreie Beobachtung
Während der Unterrichtsstunde suchen sich die Hospitierenden einen Platz im Klassenraum, von dem aus sie den Ablauf des Unterrichtes wenig beeinflussen und gleichzeitig einen guten Überblick über das Unterrichtsgeschehen haben. Die beobachtenden Kolleg:innen nehmen nicht am Unterrichtsgeschehen teil. Sie helfen Schüler:innen nicht, sie schalten sich nicht ins Unterrichtsgespräch ein oder sprechen Disziplinarmaßnahmen aus.
Die gastgebende Lehrkraft führt ihren Unterricht wie geplant durch. Ihrer Lerngruppe gegenüber macht sie transparent, warum in der Unterrichtsstunde Kolleg:innen eingeladen wurden. Dies kann aber auch bereits in der Stunde davor erfolgen. Für die Schüler:innen ist es ein gutes Signal, wenn sie live dabei sein können, wenn ihre Lehrer:innen sich mit der Entwicklung des eigenen Unterrichtes beschäftigen.
Das Beobachtungsprotokoll dient als Grundlage für eine gemeinsame Reflexion im Anschluss des Unterrichtes. Es enthält daher noch keine Interpretationen, sondern ausschließlich die bloßen Beobachtungen. Je nach Beobachtungsschwerpunkt können Beobachtungsprotokolle unterschiedlich aussehen:
- Strichliste (Wie oft wurden Schüler:innen drangenommen? Wie viele „Lückenfüller“ („sozusagen“, „ähm“, …) benutzt die Lehrkraft in Wortbeiträgen?)
- Wortprotokoll (Wie werden Wortbeiträge von Schüler:innen kommentiert? Wie werden Unterrichtsphasen eingeleitet?)
- Verlaufsdiagramm (Lärmpegel, Aufmerksamkeit, Beteiligung)
Im Anschluss an die Unterrichtsstunde gehen alle beteiligten Lehrkräfte zunächst allein in die Reflexion. Die hospitierenden Lehrkräfte erstellen auf Grundlage ihrer Notizen ein Beobachtungsprotokoll und stellen es allen zur Verfügung. Auch bei der Anfertigung des tatsächlichen Protokolls kommt es zu keiner Interpretation, erst recht keiner (Be-)Wertung von Daten. Die gastgebende Lehrkraft kann sich bereits mit dem Beobachtungsprotokoll beschäftigen und Verständnisfragen notieren. An einigen Stellen resultieren solche Fragen ggf. aus unverständlichen Formulierungen, bisweilen aber auch aus verschiedenen Wahrnehmungen.
Phase 3: Zielorientiertes Nachgespräch
Nachdem alle Lehrkräfte das Beobachtungsprotokoll erhalten haben, kann sich die Hospitationsgruppe zu einem Nachgespräch treffen. Wichtig dabei ist, dass dieses Gespräch in zeitlicher Nähe zur gehaltenen Unterrichtsstunde stattfindet. Alle Kolleg:innen müssen genügend Zeit für eine ausführliche Nachbesprechung eingeplant haben. Die Zeit zwischen zwei Unterrichtsstunden wird dafür eher nicht ausreichend sein. Das Nachgespräch findet in ungestörter Atmosphäre statt (z. B. ein Besprechungsraum, ein freies Klassenzimmer, …).
Zunächst klärt ihr Verständnisfragen zum Protokoll, damit im Anschluss ein produktives Gespräch stattfinden kann. Das eigentliche Nachgespräch eröffnet die gastgebende Lehrkraft durch ein Eingangsstatement. Hier schildert sie die eigenen Eindrücke vom Unterricht in Bezug auf den Beobachtungsfokus. Gerade bei den ersten Hospitationsdurchgängen ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass dieses Besprechungsformat für alle Beteiligten neu ist.
Produktiver Umgang mit Beobachtungen
Bei der Nachbesprechung steht die Besprechung des Beobachtungsprotokolls im Vordergrund, der Schwerpunkt liegt auf dem festgelegten Beobachtungsfokus. Um diesen „roten Faden“ nicht zu verlieren, kann dieser bei Rückmeldungen auch wiederholt werden (z. B. „Ich hatte den Auftrag, auf Deine Körpersprache zu achten. Dabei ist mir aufgefallen, dass …). Die Rückmeldungen müssen dabei differenziert und dynamisch sein. Das bedeutet, nach Möglichkeit einen zeitlichen Verlauf zu schildern. Stärken treten so in den Vordergrund und der Verbesserungsbedarf kann zielgenau adressiert werden.
Nach der Schilderung der Beobachtungen kommt der Kernpunkt des Nachgesprächs: Alle Beobachtungen werden aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und gedeutet. Dies ist die Stärke der kollegialen Hospitation. Es sitzen Lehrkräfte unterschiedlicher Erfahrung an einem Tisch, naturgemäß gibt es daher für die meisten Sachverhalte unterschiedliche Erklärungen. So kann z. B. die Lautstärke der Klasse entweder ein Indiz dafür sein, dass der Unterricht die Schüler:innen nicht in seinen Bann gezogen hat, oder dafür, dass die Lerngruppe aufgrund der Begeisterung eine hohe Motivation und ein hohes Austauschbedürfnis hat.
Vorsätze formulieren
Daran anschließend werden Schlüsse aus der kollegialen Hospitationsrunde gezogen. Dabei gilt es, einige wenige Punkte herauszunehmen, die die gastgebende Lehrkraft weiterhin durchführen möchte, weil sie bereits eine Stärke des Unterrichts sind, und solche, bei denen die Lehrkraft etwas anderes ausprobieren möchte. Idealerweise hat sie dafür von ihren Kolleg:innen hilfreiche Tipps bekommen, wie sie bestimmte Situationen im Unterrichtsgeschehen lösen. Weniger ist dabei mehr: In der Regel reicht eine kleine Sache als „Vorsatz“ für die nächsten Wochen.
Phase 4: Reflexion der Hospitation
Den Abschluss des Nachgesprächs bildet die Reflexion des Hospitationsdurchgangs. Die Gruppe kann sich dabei fragen, ob sie für den nächsten Durchgang etwas verändern möchte (Terminierung, Gesprächsführung während der Gruppenphasen, …). Weiterhin kann an dieser Stelle die gastgebende Lehrkraft ein Feedback geben, wie hilfreich die Rückmeldungen waren oder ob es Verbesserungsbedarf für den nächsten Durchgang gibt. So findet innerhalb der Hospitationsgruppe eine Professionalisierung statt und einem weiteren erfolgreichen Durchgang steht nichts im Wege.
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